Aus Versehen entwickelten wir Deutschlands erste (oder kennt, wer eine ältere?) Wesentlichkeitsanalyse auf Branchenebene – zusammen mit dem Zweirad-Industrie-Verband. Alles begann mit einem „guten alten“ DNK-Leitfaden für die Fahrradbranche, mit allen relevanten Verbänden. Mitgliedsunternehmen merkten allerdings früh an: Wir haben alle ähnliche wesentliche Nachhaltigkeitsthemen und ebenso ähnliche Fragen bezüglich ihrer Bewertung – geht da nicht etwas zusammen?
Wir fanden: Ja!
Gemeinsam brachten wir in einem sustainable-natives-Projekt Daten, Erfahrungen und Perspektiven zusammen – und erarbeiteten eine gemeinsame Wesentlichkeitsanalyse zeit- und kosteneffizient.
Das Deutsche Rechnungslegungs Standards Committee e. V. (DRSC) listete später nicht nur die Wesentlichkeitsanalyse als erste auf, sondern erarbeitete auch mit dem BDI eine Hilfestellung für die Erarbeitung solcher Branchen-Leitfäden.
Spätestens seitdem ist klar: Branchen-Wesentlichkeitsanalysen sind gekommen, um zu bleiben. Welche Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mag die Nützlichkeit dieser Leitfäden jetzt noch verwehren? (Gleichwohl gilt weiterhin: Berichtspflichtige Unternehmen müssen eine Wesentlichkeitsanalyse weiterhin selbst durchführen. Eine Branchen-Vorarbeit ist aber eine ziemlich gute Abkürzung auf diesem Weg!)
Dann kam auch Omnibus im Bereich Nachhaltigkeitsberichterstattung und der VSME als Standard freiwilliger Berichterstattung – ohne Wesentlichkeitsanalyse als festen Bestandteil.
So ziemlich alle Unternehmen, die berichtspflichtig bleiben, müssen ihren ersten Nachhaltigkeitsbericht nach CSRD später veröffentlichen – und haben längst eine Wesentlichkeitsanalyse durchgeführt. Und wer nicht pflichtig wird, muss auch keine solche Analyse durchführen.
Waren Branchen-Wesentlichkeitsanalysen und weiterführende Hilfestellungen auf Verbandsebene also ein Strohfeuer?
Nein. Und das sehe nicht nur ich so, sondern auch das DNK-Büro, welches derzeit einen Pilotprozess mit einigen wenigen Verbänden zu diesem Thema durchführt (bei welchem wir nah dran sind.)
Und das hat gute Gründe:
Wesentlichkeitsanalysen sind auch bei freiwilliger Berichterstattung sinnvoll:
- Sie geben einen Fokus – und sind unerlässlich für Nachhaltigkeitsstrategien.
- Sie machen auf Chancen aufmerksam (die bisher oft übersehen wurden).
- Sie geben eine gute Grundlage, wie mit den „if applicable“ / „falls zutreffend“ Angaben im VSME umzugehen ist.
Branchen-Wesentlichkeitsanalyse (und VSME-Leitfäden) bleiben für Verbände sinnvoll:
- Mitgliedsunternehmen sparen Personal- und Sachkosten.
- Verbände positionieren sich als wertvolle Sparringspartner.
- Es wird ein Branchen-Standard (schneller) entwickelt.
Zudem werden solche Verbandsarbeiten auch gern von Unternehmen mit existierender Wesentlichkeitsanalyse genutzt, um ihre Arbeiten mit dem Branchendurchschnitt vergleichen zu können.
Die Existenz eines solchen Durchschnitts ist umso interessanter, da EU-Sektorstandards (wohl auf den Sankt-Nimmerleins-Tag) verschoben sind. Die SASB-Standards sind eine gute Orientierung, jedoch teils etwas veraltet (und daher inzwischen peu à peu in Überarbeitung).
Wir durften weitere Branchen-Wesentlichkeitsanalysen entwickeln – zusammen mit der Papierindustrie oder dem Industrieverband Haus-, Heiz- und Küchentechnik e.V. (HKI). Interessanterweise waren hierbei gerade auch Mitgliedsunternehmen, die freiwillig berichten, sehr interessiert – aus oben genannten Gründen.
Kurzum: Branchen-Wesentlichkeitsanalysen und VSME-Handreichungen auf Verbandsebene werden weiterhin gefordert und entwickelt werden. Wer noch etwas Strandlektüre braucht, hier geht’s zu einem Überblicksartikel zu dem Thema: https://www.haufe.de/sustainability/strategie/praxisbericht-branchenwesentlichkeitsanalyse_575772_638312.html
Marius Hasenheit