Klassische Werbung macht unrealistische Versprechen. Das war nie schlimm. Denn wir glauben ihr sowieso nicht. Auf dem Plakat zaubert die Zahncreme mit der neuen Zutat strahlend weiße Zähne. In der Realität schmeckt sie einfach nur ungewohnt. Im Spot fährt das Auto galant offroad durch abenteuerliche Landschaften und wird dabei entweder gar nicht oder sehr betont dreckig. In der Realität teilt man sich ein Asphaltband mit tausenden anderen, die wenig abenteuerlich pendeln oder zum Supermarkt fahren.
Mehr oder weniger subtil macht uns klassische Werbung für den Verkauf defizitär: Uns erreichen die Werbebotschaften, weil wir eben nicht täglich mit strahlend weißen Zähnen abwechselnd auf Geröllfeldern oder in der Wüste kurven. Weil wir normale Zähne haben und das Auto für Alltägliches nutzen, oder vielleicht gar keines haben.
Die Werbebotschaften zeigen aber nicht nur, was wir nicht haben, sondern appellieren zugleich an emotionale Bedürfnisse und Motive, wie Jugend, Abenteuer, Freiheit, Sex, Macht. Auch Ängste können eine Rolle spielen – egal wie irrational es ist, mit weißen Zähnen die Angst vor der eigenen Vergänglichkeit zu bearbeiten, oder mit der Karre die Angst, nicht dazuzugehören, nicht geliebt zu sein.
Auch Produkte, die mit einem Impact oder einer positiven Nachhaltigkeitswirkung punkten wollen, müssen zwischen den weißen Zähnen und Verbrennern auf dem Geröllfeld bestehen.
Vorgestellt werden die sinnvolleren oder nachhaltigeren Produkte in der Welt, in der Wellen magisch neben Autos senkrecht in die Höhe schießen und Kleinkinder nicht nur freiwillig, sondern sogar freudestrahlend Zähne putzen. In einer Welt, in der gleichzeitig nervige Low-Budget-Spots eines Crypto-Abzockers auf YouTube mehr Menschen erreichen, als die Auto- und Zahncreme-Spots in linearen Medien.
Auch hier ist die Welt nicht schwarz-weiß: Beide Welten sind nicht trennscharf unterscheidbar. Es gibt Bullshit-Produkte, die aber 5 % aus recyceltem Material bestehen – und dies auch gern bewerben. Und Produkte von Impact-Zebras (Zebra-Startups sind besonders finanziell und nachhaltigkeitsbezogen erfolgreich), die bei näherem Hinsehen zweifelhaft sind. Und generell wäre aus Postwachstumssicht das beste Produkt ein vermiedenes, repariertes oder geteiltes.
Doch egal, ob Bullshit-Produkt mit minimalem Impactversprechen oder die Anzeige eines Impact-Vorreiter-Unternehmens oder gar einer NGO, das Grundproblem ist: Von ihnen wird verlangt, was niemand bei der Zahnpasta- oder Autowerbung erwartet – maximale Glaubwürdigkeit.
Die erste Reaktion sind hier Zahlen oder Trust-Elemente wie Siegel. Und als Nachhaltigkeitsberater würde ich auch die Wichtigkeit konkreter Nachweise unterstreichen. Gefragt sind Lebenszyklusanalysen oder produktbezogene CO₂-Bilanzen, keine wilden Behauptungen. Nicht zuletzt sind umweltbezogene Aussagen auch rechtlich gesehen nun quantitativ zu belegen: Zwar kommt die EU-Green-Claims-Directive voraussichtlich nicht mehr. Die Empowering-Consumers-Directive (EmpCo) ist jedoch in Brüssel durch und muss bis März 2026 in nationales Recht überführt sein.
Aber so sinnvoll und wirkungsreich die EmpCo auch ist: Verbrauchende dürfen ja heute bereits nicht betrogen werden. Das hält freilich niemanden davon ab, Mittdreißigjährige mit ihrem künstlichen Gebiss oder übertriebene, bearbeitete Bilder für Zahnpasta werben zu lassen – solange sich die Werbeaussagen im rechtlichen Rahmen bewegen.
Es wird auch bei der Impact-Kommunikation eine Ebene neben dem quantitativen Nachweis geben. Storytelling neben den konkreten Zahlen: Das klingt erst einmal gefährlich, das klingt nach Greenwashing.
Aber seien wir mal ehrlich: Exceltabellen mit CO₂-Äquivalenten oder IROs (Impact Risk Opportunity – Nachhaltigkeitsthemen von Unternehmen) begeistern nur wenige und bleiben selten im Kopf. Storytelling ist gefragt.
Und da sich klassische Werbung und die des (schwer zu definierenden) Impact-Sektors nicht gänzlich gegenüberstellen lassen, darf auch hier festgestellt werden: Auch Impact-Kommunikation appelliert an menschliche Grundbedürfnisse. Die Bio-Lebensmittel adressieren den Wunsch, gesund zu sein (und indirekt die Angst vorm Sterben), das hochpreisige Upcycling-Produkt den nur scheinbar widersprüchlichen Wunsch sozialer Distinktion bei dem gleichzeitigen Bestreben, dazuzugehören (halt zu einem bestimmten Milieu).
Beides darf – und muss sein: die Zahlen und das Storytelling. Es bleibt die Frage des Ausgleichs und der Balance. Auf den ersten Blick mag man sagen: B2C-Produkte brauchen viel Storytelling, viel Farbe und Schimmer, die Zahlen dürfen sich hinter einem QR-Code verstecken. B2B-Angebote hingegen müssen schnell dem Einkauf die eigenen Nachhaltigkeitsleistungen listen und gut ist. Das Auswerten übernimmt eh die KI.
So einfach ist das natürlich nicht: Auch Endkonsument:innen wollen teils (glücklicherweise) Impactversprechen nachvollziehen und vielleicht sogar überprüfen. Und solange Menschen beim Einkauf beteiligt sind, ist es gut, Nachhaltigkeitskommunikationen zu kontextualisieren – und vor allem deutlich zu machen: Nachhaltigkeitstransformationen lassen sich am besten zusammen angehen.
Besonders eklatant ist jedoch der unterschiedliche Maßstab bezüglich der Erwartungen an Glaubwürdigkeit, Transparenz und Konsistenz von Aussagen und Handeln bei der B2C-Kommunikation. Dieser unterschiedliche Maßstab wird grundsätzlich nicht vergehen – auch wenn sich „konventionelle“ und Impact-Werbung weiterhin überlappen. Auch gesetzliche Anforderungen werden die größere Erwartungshaltung an Impact-Akteure nicht schmälern – auch wenn sie ein Level Playing Field (faire Wettbewerbsbedingungen für alle Marktteilnehmer) sicherstellen.
Der Grund sind erlernte Muster: Konventionelle Werbung darf, ja, soll übertreiben. Gelernt ist, dass die Wellen der Brandung nichts mit dem Auto zu tun haben und keine Gischt aufschäumt, wenn der Zündschlüssel umgedreht wird.
Bei Impact-Kommunikation ist ein anderer Fokus erlernt. Neben dem Lastenfahrrad schäumt keine Brandung auf, die Fahrt führt nicht durch die Wüste – dafür bei Sonnenschein durch ein urbanes Stadtviertel – mit den üblichen dauerlächelnden Kindern. Beworben werden dabei primär vielleicht eher Funktionalität und Preis – anstelle des CO₂-Ersparnisses im Vergleich zur Familienkutsche. Letzteres findet sich dann auf der Produktseite – und sollte sauber belegt sein.
Rechtliche Vorgaben stellen dabei lediglich die Must-have-Anforderungen dar. Gute Impact-Kommunikation arbeitet nicht nur mit soliden Zahlen (also realistischen Annahmen des eigenen Produkts und des verglichenen Durchschnitts), sondern macht auch Annahmen transparent und kontextualisiert Zahlen durch Beispiele.
Letztlich hilft der mentale Gang in eine Kneipe. Wer tief in den Zahlen steckt und andere begeistern will, sollte sich fragen: Wie würde ich es Freund:innen abends in einer Bar mit entsprechender Geräuschkulisse erzählen?
Dann kommen
- Spannungsbögen! Das alternative Material musste bei der Produktentwicklung bis zum 5. Juli getestet werden. Ein Rennen. Zum Schluss hat es geklappt!
 - Konflikte und Held:innengeschichten! Die mauernde Abteilungsleiterin. Die smarte Nachhaltigkeitsmanagerin.
 - Und ja, vielleicht auch Gossip: Schon gehört? Alle schmieren bei CDP ab! Kann das ein Zufall sein? Und jetzt kommt unsere Lösung …
 
Niemand erzählt in der Kneipe so, wie ChatGPT textet. 
Niemand liest eine Klimabilanz Zeile für Zeile vor.
Wir erzählen dort anders – und brauchen dabei weder Geröllfelder, Gischt noch leuchtend-weiß Zähne.
Zahlen und Storytelling wollen und können kombiniert werden!
Autor
Marius Hasenheit
Nachhaltigkeitsberater &
Geschäftsführer bei sustentio
