Neue EU-Regeln für politische Werbung (TTPA): Was bedeuten sie für NGOs, Verbände, Unternehmen?

11.08.2025
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Postkarte: "am Ende wird alles gut - und wenn es nicht gut ist, ist es nicht das Ende"

Meta hat es diese Woche angekündigt, Google schon länger: Ab Oktober keine politischen Werbeanzeigen mehr in der EU. “Politisch” wird dabei auch wie bisher schon sehr weitläufig definiert: Nachhaltigkeit, Soziale Themen wie Lieferketten, Regulierungen, Klima, Umweltschutz. Egal, ob mit den Themen für Spenden, Unterschriften oder einfach nur neue Follower geworben wird. Als Geschäftsführer von sustentio habe ich mit unserem Team in den vergangenen Jahren zahlreiche NGOs und Verbände bei ihrer digitalen Kommunikation begleitet (u.a. OceanCare, den VCD Bundesverband , das Forum Fairer Handel e.V., den Helpdesk Wirtschaft und Menschenrechte und viele mehr). Wir haben gemeinsam Content erstellt und Online-Kampagnen geschaltet, um Menschen mit wichtigen politischen und sozialen Themen zu erreichen. Daher verfolge ich die Regulierung digitaler politischer Werbung sehr genau. Seit der Verabschiedung der EU-Verordnung „über die Transparenz und das Targeting politischer Werbung“ (TTPA) am 13. März 2024 und den folgenden Lobby-Diskussionen ahnte ich: Die großen Plattformen könnten ihre Dienste für politische Ads in der EU einstellen. Genau das passiert nun – mit weitreichenden Folgen für NGOs, Verbände und alle Akteure, die politische Inhalte bewerben.

Was schreibt die neue EU-Verordnung TTPA vor?

Die TTPA-Verordnung zielt darauf ab, politische Werbung transparenter zu machen und Manipulation sowie ausländische Einflussnahme einzudämmen. Konkret müssen politisch motivierte Anzeigen klar als solche gekennzeichnet werden und Informationen darüber enthalten, wer der Sponsor ist, wie viel bezahlt wurde, auf welche Wahl, welches Referendum oder welchen Gesetzgebungsprozess die Anzeige sich bezieht, und ob Targeting-Techniken verwendet wurden. Einfach gesagt: Wenn meine Organisation eine Anzeige mit politischem Inhalt schaltet, sollen Bürger:innen sofort erkennen können, dass es sich um eine politische Botschaft handelt und wer dahintersteht.

Zudem schränkt die Verordnung Microtargeting stark ein. Werbung darf online wie offline nur noch zielgerichtet ausgespielt werden, wenn die Nutzer:innen vorher ausdrücklich zugestimmt haben und die Daten direkt von ihnen erhoben wurden. Die Nutzung sensibler personenbezogener Daten (z.B. zu ethnischer Herkunft, politischen Meinungen, Gesundheit oder Religion) für Targeting ist gänzlich verboten. Politische Online-Anzeigen müssen künftig in einem öffentlichen EU-Online-Archiv gespeichert werden, und in den drei Monaten vor Wahlen oder Referenden dürfen Akteure außerhalb der EU keine politische Werbung mehr sponsern. Erstmals gibt es auch eine gesetzliche Definition politischer Werbung – persönliche Meinungsäußerungen oder amtliche Mitteilungen fallen nicht darunter.

Diese Regeln gelten für alle digitalen Werbeformate mit politischem Inhalt, online wie offline. Vielen ist noch nicht bewusst: Es geht nicht nur um Facebook oder Google Ads. Ab dem 10. Oktober 2025 unterliegt jede bezahlte Anzeige, die politische Akteure oder Themen bewirbt – sei es der Banner auf zeit.de, der TikTok-Clip einer NGO oder eine LinkedIn-Anzeige eines Verbands – diesen Transparenz- und Dokumentationspflichten. Teile der Verordnung traten bereits zur Europawahl 2024 in Kraft, doch ab Oktober 2025 gilt sie uneingeschränkt. Dann müssen alle Anbieter von politischer Werbung in der EU die neuen Vorgaben erfüllen – unabhängig davon, in welchem EU-Land der Werbetreibende sitzt.

Plattformen reagieren: Ende der politischen Werbung auf Social Media?

Statt ihre Systeme an die neuen Vorschriften anzupassen, ziehen sich die größten Online-Plattformen nun aus dem Geschäft mit politischer Werbung in Europa zurück. Google kündigte bereits im November 2024 an, dass es vor Inkrafttreten der TTPA im Oktober 2025 keine politischen Anzeigen in der EU mehr ausliefern wird. Man begründete dies mit der äußerst breiten Definition politischer Werbung (die praktisch eine Fülle gesellschaftlicher Themen umfasst) und fehlender Klarheit in der Umsetzung – was es nahezu unmöglich mache, alle Vorgaben zuverlässig einzuhalten. Meta zog im Juli 2025 nach und erklärte, dass ab Anfang Oktober 2025 weder auf Facebook noch Instagram oder WhatsApp politische, Wahl- oder “Social Issue”-Ads in der EU zugelassen werden. Die TTPA-Verordnung stelle „unworkable requirements“ – also unpraktikable Anforderungen– und rechtliche Unsicherheiten für Werbetreibende und Plattformen, so Meta. Man stehe vor der Wahl, den eigenen Werbedienst so einzuschränken, dass er weder für Nutzer:innen noch Werbende sinnvoll funktioniere – oder politische Ads ganz einzustellen. Meta entschied sich für Letzteres und betonte, man sei nicht allein mit diesem Schritt.Tatsächlich kritisieren auch Bürgerrechtsorganisationen wie die in Berlin ansässige Civil Liberties Union for Europe, kurz Libertie, eine mögliche Überregulierung, weil die Definition von Themen nicht genau genug ist. Aber auch Wahlaufrufe sind zukünftig damit wohl nicht mehr bewerbbar.

Mit der Entscheidung der größten Plattformen ist faktisch ein Ende der politischen Werbung auf den großen Social-Media-Plattformen besiegelt. TikTok hat politische Anzeigen ohnehin noch nie erlaubt, LinkedIn ebenfalls schon vor einiger Zeit abgeschaltet (wobei hier weniger scharf abgelehnt wird als z.B. bei Meta). Durch TTPA und die Reaktion von Meta & Google erleben wir nun einen historischen Einschnitt: Ein bedeutender Kommunikationskanal für politische und gesellschaftliche Anliegen bricht weg. Aus meiner Sicht ist das ein Rückschlag für die digitale politische Öffentlichkeit. Wenn Algorithmen bestimmen, welche Inhalte organisch Reichweite bekommen, waren bezahlte Anzeigen ein wichtiges Tool, um gerade in Wahlkämpfen oder Kampagnen gezielt Informationen an Bürger:innen auszuspielen. Dieser Weg ist nun versperrt – zumindest vorerst.

Natürlich kann man die Plattformbetreiber dafür kritisieren, dass sie statt Transparenz zu schaffen einfach den Stecker ziehen. Einerseits verstehe ich die geschäftliche Entscheidung: Die neuen Auflagen sind komplex und mit Risiken behaftet. Andererseits lösen Facebook & Co. das Problem nicht, sondern umgehen die Regulierung, was demokratischen Akteuren die Reichweite nimmt, während Desinformation und extremistischer Propaganda im Netz weiterhin – organisch – ihren Weg finden können. Ich hoffe sehr, dass diese Situation nicht von Dauer ist: Entweder durch Nachbesserungen an der Verordnung oder durch ein Umdenken der Plattformen könnte politische Werbung online vielleicht wieder ermöglicht werden. Denn unsere Demokratie braucht die Möglichkeit, auch digital mit Bürger:innen zu kommunizieren – besonders auch für soziale und umweltbezogene Themen.

Was bedeuten die Änderungen für NGOs und Verbände?

Für NGOs, Verbände und gemeinnützige Initiativen, die politische Inhalte kommunizieren, stellen die neuen Regeln und das Werbeverbot eine erhebliche Herausforderung dar. Viele dieser Organisationen haben in der Vergangenheit Social-Media-Anzeigen genutzt, um z.B. auf Petitionen, Kampagnen oder Missstände aufmerksam zu machen, Unterschriften und Spenden zu sammeln – sei es in Klima- und Umweltthemen, Menschenrechtsfragen, Themen wie häusliche Gewalt oder soziale Gerechtigkeit. Diese bezahlte Reichweite fällt nun weg. Besonders bitter ist das, weil gerade zivilgesellschaftliche Akteure und demokratische Bündnisse oft knappe Ressourcen haben und auf kosteneffiziente Werbung angewiesen sind, um ihre Zielgruppen zu erreichen.

Doch es hilft nichts zu lamentieren – wir müssen uns auf die veränderte Lage einstellen. Organische Reichweite rückt nun noch stärker in den Mittelpunkt. Die entscheidende Frage lautet: Wie können NGOs und Verbände weiterhin relevante digitale Aufmerksamkeit für ihre Anliegen erzielen, ohne auf gekaufte Anzeigenplätze zurückgreifen zu können? Hier sind Strategie und Kreativität gefragt. Aus unseren Erfahrungen mit Nachhaltigkeitskampagnen wissen wir: Man kann auch ohne Ads viel erreichen, wenn man die richtigen Inhalte produziert und die Community aktiviert.

Drei Tipps: So gelingt Reichweite ohne Ads

  1. Video-Content produzieren & Trends im Blick behalten: Algorithmen lieben Videos. Kurze, ansprechende Clips erzielen oft höhere organische Reichweiten als Text oder Bilder. Organisationen sollten verstärkt auf Bewegtbild setzen – von knackigen Erklärvideos bis zu persönlichen Botschaften. Ebenso wichtig ist ein gutes Trend-Monitoring: Welche politischen Inhalte gehen gerade viral? Welche Themen dominieren die Debatte? Es reicht nicht, nur den eigenen Social-Media-Feed anzuschauen. Beobachtet systematisch relevante Accounts (z.B. andere NGOs, Influencer, Medien) und nutzt Social-Listening-Tools. Mit einer cleveren Verbindung aus Monitoring und KI-gestützter Analyse kann man reichweitenstarke Inhalte früh identifizieren und learnings für die eigene Content-Strategie ziehen. Wer schnell auf Trends reagiert – etwa indem er zu einem viralen Thema Stellung bezieht oder ein vorhandenes Meme für die eigene Botschaft adaptiert – wird mit mehr Sichtbarkeit belohnt.
  2. „Collabs“ und Kooperationen nutzen: Auf Instagram und Facebook gibt es die Funktion Collabs, mit der ein Beitrag von zwei Accounts gemeinsam veröffentlicht werden kann. Solche Kollaboration-Posts führen zu kumulierter organischer Reichweite: Der Beitrag erscheint simultan im Feed beider Accounts und erreicht so neue Follower-Kreise. Für NGOs und Verbände bietet es sich an, alliierte Organisationen, Partner:innen, Influencer:innen oder prominente Unterstützer:innen als Collab-Partner zu gewinnen. Ein gemeinsamer Post – z.B. zwischen einem Umweltschutzverein und einer bekannten Klima-Aktivistin – erhöht die Sichtbarkeit beider Seiten und kann dazu beitragen, neue Zielgruppen zu erschließen. Kurz: Vernetzung zahlt sich nun doppelt aus.
  3. Unterstützer:innen mobilisieren (Koordinierte Reichweiten-Booster): Was tun, wenn der eigene Account allein nicht genug Reichweite erzielt? Hier kommen die Menschen hinter der Organisation ins Spiel. Viele von euch haben engagierte Ehrenamtliche, Mitglieder oder Follower:innen, die eure Inhalte gerne teilen – man muss sie nur orchestriert aktivieren. Ein bewährter Ansatz ist die koordinierte Reichweitenmaximierung: Jedes Mal, wenn ihr einen wichtigen Beitrag postet (sei es auf Twitter, Facebook, LinkedIn oder Instagram), informiert eure Unterstützer:innen darüber – zum Beispiel über Messenger-Gruppen, Signal-Broadcast-Listen oder einen Mini-Email-Newsletter. Bittet sie, den Beitrag zu teilen, zu liken oder zu kommentieren, um den Algorithmus anzukurbeln. Je mehr initiale Interaktionen, desto höher steigt der Post in der Sichtbarkeit. Rechtspopulistische und extremistische Gruppen machen das schon lange sehr effektiv – sie pushen ihre Botschaften im Netz, indem sie geschlossen agieren. Demokratiefreundliche NGOs und Verbände sollten hier nachziehen. Überlegt auch, neue Tools einzusetzen, die die Mobilisierung erleichtern (es gibt z.B. Plattformen, die Freiwillige koordinieren, um Social-Media-Aktivitäten zu verstärken). Ein bisschen Planung und Aktivierung kann organische Reichweiten sprunghaft steigern.
  4. Alternative Kanäle nutzen: Welche Plattformen TTPA doch umsetzen, ist noch nicht klar: Viele haben sich noch nicht positioniert. Ich bin gespannt, was sich hier in den nächsten Wochen bis zum 09.10. entwickelt: Nebenan.de, Newsletter wie der Tagesspiegel Background und Online-Newsseiten könnten in der Auslegung der Verordnung großzügiger sein und weniger Themen als politisch einstufen, als die großen Plattformen oder diese tatsächlich komplett umsetzen. Ich bin übrigens auch sehr gespannt, ob der schon sehr eingeschränkte Google Grants-Dinosaurier noch betroffen sein wird. Ich halte hier auf jeden Fall die Augen offen und empfehle unseren Kund:innen bei entsprechenden Kampagnen die richtigen Kanäle. Zusätzlich empfehle ich schon lange, sich nicht zu abhängig von den Plattformen zu machen. Diversifizierung der Kanäle und eigene Verbreitungsmöglichkeiten wie ganz besonders Email-Newsletter bleiben neben Briefen und Anrufen eine attraktive Möglichkeit, große eigene Reichweiten zu erzielen. Hohe Öffnungsraten von 30-50% sind bei richtiger Länge und Gestaltung möglich.

Blick nach vorn: Es wird weitergehen – nur anders

Stehen wir also vor dem Aus für digitale politische Werbung? Kurzfristig gesehen ja – zumindest auf den meist verbreiteten Wegen. Die Reichweiten auf Social Media werden für politische Inhalte vorerst sinken, da bezahlte Verstärkung wegfällt. Nach dem 09. Oktober 2025 wird es vermutlich eine Phase der Unsicherheit geben. Viele fragen sich: War es das jetzt? Wie sollen beispielsweise Parteien und NGOs im Europawahlkampf 2025 oder in den fünf anstehenden Landtagswahlen 2026 digitale Wähleransprache betreiben, wenn Facebook und Google keine Anzeigen mehr annehmen?

Ich bin jedoch überzeugt, dass sich der Markt neu sortieren wird. Bedarf und Nachfrage verschwinden ja nicht. Bereits jetzt arbeiten spezialisierte Anbieter an TTPA-konformen Lösungen für digitale politische Werbung. In der Branche wird intensiv diskutiert, ob und wie man Formate entwickeln kann, die den EU-Vorgaben entsprechen. Einige Akteure haben angekündigt, entsprechende Tools bereitzustellen. Auch wir bei sustentio beobachten diese Entwicklungen genau und werden unsere Strategien daran anpassen. Vielleicht wird die EU-Kommission nachbessern oder zumindest praxisnahe Leitlinien veröffentlichen (ein erster Guideline-Entwurf ist bereits in Arbeit, heißt es). Denn ich habe den Eindruck, vielen Entscheidungsträger:innen ist noch gar nicht klar, welche Konsequenzen die neuen Regeln für ihre eigenen Kampagnen haben werden.

Eines steht fest: Die Kommunikation über gesellschaftliche und politische Themen wird weiterhin stattfinden – mit oder ohne die großen Plattformen. Wenn Facebook & Co. als Werbekanal wegfallen, dann werden wir alternative Wege finden (müssen). Ob über organische Strategien (wie oben skizziert), über neue Plattformen oder über klassische Medien – wichtig ist, dass die Stimme von NGOs, Verbänden und anderen wichtigen zivilgesellschaftlichen Akteuren nicht untergeht. Politik und gesellschaftlicher Wandel entstehen dort, wo Meinungen geformt werden – und das ist heute vor allem digital.

Zum Schluss möchte ich betonen: sustentio steht bereit, euch bei dieser Transformation zu unterstützen. Mein Team und ich haben in der Vergangenheit bewiesen, dass wir auch unter veränderten Bedingungen kreative Lösungen für nachhaltige Kommunikation finden. Wir kennen die Herausforderungen der politischen Online-Kommunikation ebenso wie die Chancen, die in guten Inhalten und engagierten Communities stecken. Die neuen EU-Regeln mögen komplex sein – doch mit dem richtigen Know-how lassen sie sich umschiffen, ohne eure Botschaften zu verwässern. Lasst uns gemeinsam neue Wege finden, eure Themen ins Spotlight zu rücken. Trotz aller Veränderungen bin ich optimistisch: Wer flexibel bleibt und neue Ansätze wagt, wird auch in Zukunft Gehör finden. In diesem Sinne – packen wir’s an!

Sebastian Olényi